Freitag, 20. Juni 2014

Borjomi National Park, Georgien

Orientierung in Georgien ist für uns so eine Sache. Wir haben für Georgien kein GPS auf dem Handy, und wir haben es noch nicht geschafft, eine ordentliche Straßenkarte zu finden. Wir haben nur sehr ungenaue Karten, auf denen nur die größten Straßen drauf sind. (Und das heißt auch nix; zum Goderzi-Pass, wo der See war, führt die dickste rote Straße, die die Karte zu bieten hat. Nationalstraße - kann dann trotzdem über 50 Kilometer zur Buckelpiste werden.) Wir fahren also mehr nach Richtung und nach Schildern als nach Karte.
Schilder gibt es nun aber auch nicht sooo viele. Nicht auf der Straße, und auch nicht in den Nationalparks. Am Mittwoch wollten wir zu einer Zwei-Tages-Tour im Borjomi-Nationalpark aufbrechen. Dort gibt es verschiedene benamte und auf einer Karte eingezeichnete Tracks, und es gibt im Ort Borjomi ein großes Zentrum, das den Nationalpark verwaltet und von jedem Touristen, der darin rumlaufen will, ein Ticket haben will. Es ist also ein durchaus gepflegtes und organisiertes Gebiet.
Es gibt aber keine Hinweise auf der Straße, dass hier irgendwo ein Nationalpark anfängt, eine Rangerstation ist oder ein Track beginnt. Bis wir also den Startpunkt für den 34 Kilometer langen Panorama Track gefunden hatten, war es 15 Uhr. 

Und auch der Track selber war eher schlecht als recht markiert - gern mal irgendwann zwischendurch mit zwei bis drei verschiedenen Markern, eher nicht an strategischen Punkten wie Gabelungen.

Macht nix, die erste Etappe von 16 Kilometern haben wir trotzdem gut geschafft. Nach 5 Stunden waren wir kurz vor der Hütte, in der wir übernachten wollten. Dort gab es auch eine Schäferhütte und zwei große Rindergehege und zwei sehr gastfreundliche Rinderhirten mit drei Hunden. Wir wurden zum essen und trinken hineingebeten und sind erst nach Mitternacht wieder raus und die letzten zehn Minuten bis zu unserer Hütte gegangen - oder sagen wir besser getorkelt ;)

Trinken in Georgien geht so: es gibt einen Toastmaster, der einen Trinkspruch bringt bzw. sagt, worauf jetzt getrunken wird; dann stoßen alle an, und dann trinkt man. Und nur dann! Zwischendurch trinkt man Wasser. Toasts werden aber regelmäßig gebracht und so kommt man durchaus auf ein beachtliches Level. Erst recht, wenn der Wein alle ist und man mit Tschatscha weiter anstoßen muss, dem georgischen Schnaps, ein Feuerwasser aus der Hölle. Irgendwann waren noch zwei Ranger gekommen und zu siebt saßen wir in der kleinen Hütte und tranken: for the meeting, for Germany, Poland and Georgia, for mir and swoboda. 


Am nächsten Morgen hatte besonders Gosia einen ordentlichen Kater. Ich war sowieso schon erkältet, und derart gehandicapt machten wir uns auf die zweite Etappe. Nochmal trafen wir unsere Rinderhirten, diesmal mit den Kühen draußen auf dem Berg, und ich durfte 5 Minuten ihr Pferd reiten :)


Der Track und die Berge und Ausblicke waren unglaublich schön. Und die Bergwiesen!

... und um von einer riesigen Bergwiese einen kleinen Trampelpfad in den Wald zu finden, wäre auch eine gute Markierung nicht schlecht. Gabsabernicht. Und nach einer ganzen Weile Gesuche (und beeinflusst durch den Wunsch, nicht noch weiter nach oben zu müssen - wir waren schon auf über 2100 Metern) sind wir querfeldein gegangen, in der Hoffnung, dass wir bald unseren Weg treffen, wenn wir in diese Richtung gehen. 


So fangen Filme an, in denen dumme Menschen sich selbst in Schwierigkeiten bringen und wo man denkt: wer so blöde ist, der verdient es eigentlich auch zu sterben. In wilden Bergen querfeldein nach unten ist der point of no return ziemlich schnell erreicht, und abseits von jedem Weg mitten durch Gestrüpp, Brennesseln, Dornen und Tannendickicht, gewürzt mit ein paar kleineren Kletterpartien, kommen einem bald komische Gedanken. Was tun, wenn wir uns hier verletzen oder einer irgendwo runterfällt? Was tun, wenn wir jetzt einen Bären treffen? Bären legen nicht so viel wert auf menschliche Gesellschaft und meiden in der Regel die von Menschen frequentierten Wege. Bisher habe ich mir darum nicht allzu viele Gedanken über Bären gemacht oder Angst gehabt, wirklich einen zu treffen. Wenn man jetzt aber seinen Track verlässt und versehentlich Bärenwege kreuzt... ja, alles dumm, dumm, dumm und gefährlich, dachte ich. Die Ranger haben uns am Abend vorher übrigens auch erzählt, dass seit zwei Wochen ein älterer Deutscher vermisst wird, der genau in dieser Gegend verschwunden ist. Die suchen jeden Tag nach ihm und haben ihn noch nicht gefunden. 


Wir sind nach kurzer Zeit einem kleinen Mini-Bach gefolgt, der im Tal in einen größeren münden würde, und haben gehofft, dass neben dem größeren Bach dann auch schon ein Weg wäre. Wir waren also nicht ganz verloren; wir wussten, dass wir im richtigen Tal sind, und dass am Ende vom Tal unser Auto steht. Wir hatten eine Karte und einen Kompass und wussten: nur diesen Fluss runter und dann am größeren entlang und dann sind wir da. 

Manchmal verläuft oder verfährt man sich ja kurz, oder man denkt, irgendwas sei schief gegangen, und ist für einen Moment verunsichert; und plötzlich landet man wieder auf der richtigen Straße und merkt dass alles ok ist, und dann ist man erleichtert und die kurze Angst, die man hatte, erscheint fast übertrieben. Am Anfang dachte ich noch, dass uns das jetzt vielleicht gleich passiert. Dass plötzlich der Weg da ist;  und als wir am kleinen Bach waren: dass vielleicht gleich der große Bach da ist und ein Weg daneben. 

Irgendwann waren wir wirklich am größeren Bach. Aber da war noch kein Weg. Da waren manchmal Steilhänge rechts und links, und sonst immernoch Brennesseln und Gestrüpp. Ab hier sind wir abwechselnd im Bach (bis zu den Knien) und daneben gelaufen, geklettert, gekraxelt. Wieder denkt man, vielleicht ist hinter der nächsten Kurve ja der Weg und dann werden wir ganz erleichtert sein und lachen; wieder kämpft man sich stattdessen stundenlang weiter voran. 

Nachdem ich an einem steilen Stück, das Gosia schon runter geklettert war (wobei ihr Rucksack etwa vier Meter tief gefallen war), eine kleine Panikattacke hatte - ich wollte nicht weiter und konnte nicht zurück, ich dachte ich falle gleich, und Paul musste mich am Kameragurt wieder hochziehen - und dann auch noch im Bach ausgerutscht und mit dem Gesicht einen Zentimeter von einem Felsen entfernt gelandet bin, musste ich erstmal ein paar Tränen vergießen. Es war echt genug. Wir waren seit über vier Stunden in der Pampa und langsam war auch abzusehen, dass es irgendwann dunkel wird. 

Die Bären hatte ich eigentlich schon wieder vergessen bzw. ich hatte unterstellt, dass die eher weiter oben in den Bergen wohnen und nicht hier unten im Tal. Aber dann waren da eindeutig Bärentatzenabdrücke im Matsch; umgedrehte Steine und ein großes Tier hatte schon einen Pfad durchs Gebüsch geschlagen. Ach du scheiße; wir laufen mitten in der Bärenbude rum. "Lets make some noise!"

Outdoorrucksäcke haben manchmal so Trillerpfeifen am Geschnür. Trillerpfeifentrillernd und schreiend und versuchend, jetzt nicht panisch zu werden, sind wir weitergegangen.

... und endlich, nach etwa 15 Minuten akuter Bärenangst, waren da wieder Hufabdrücke auf dem Boden; ein Zeichen, dass hier ab und zu mal Menschen sind und sowas wie ein Weg in Reichweite sein könnte. 

Bis zum Auto hat es immer noch ziemlich lange gedauert. Etwa um halb zehn und grad so, dass man keine Taschenlampe braucht, haben wir es erreicht.  


Fotos gibt's vom Querfeldeintrip keine; die Prioritäten lagen anders ;) aber trotz des holprigen Abstiegs: es war soooo schön dort!!!



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