24.-29.6.
Da sind wir schon wieder - etwas früher als gedacht. Denn erstens hatten wir bestes Wetter und zweitens sind wir einfach krasse Power-Wanderer, und haben die 75 Kilometer mal eben in vier Tagen gerockt. Mit Pass-Überquerung und kiloweise Essen im Gepäck!
Aber langsam. Am Dienstag sind wir nach Omalo gefahren; dafür muss man von Tbilisi mit dem Bus nach Telavi und dann von da einen Jeep chartern, denn öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht in diese Gegend. Unser Auto haben wir in Tbilisi zurückgelassen - neben dem Parlament, wo den ganzen Tag Soldaten stehen und es ziemlich sicher sein sollte ;)
Abends um 7 kamen wir in Omalo an; mit dem Jeep hat es 4,5 Stunden für etwa 80 Kilometer gedauert.
Mittwoch sind wir also losgewandert. Die ersten 1,5 Tage ging es noch auf der Jeep-Piste entlang, bis auch die irgendwann zuende war und wir unserem Track gefolgt sind - wieder nicht markiert, aber diesmal zumindest fast immer gut erkennbar.
Bären waren hier kein Problem - wir waren eigentlich die ganze Zeit auf riesigen Bergweiden. Gefahr lauerte allerdings stattdessen in Form von kaukasischen Schäferhunden. Riesige Biester - wenn vier oder fünf davon bellend auf einen zu gelaufen kommen, ohne dass ein Schäfer in Sicht ist, kann es einem schon ganz anders werden. Aber die Hunde verstehen alle die Sprache fliegender Steine und so konnten wir sie immer rechtzeitig auf Abstand bringen.
Zwei, drei Kilometer entfernt verläuft fast parallel die Grenze zu Russland - genauer gesagt, Tschetschenien. Daher gibt's auch Border Police und Passkontrolle. Man bekam eine Art Passierschein, den man dann noch zwei mal vorzeigen musste. Mitten auf der Wiese steht da ein Zelt mit Feldbetten drin und ein halbes Dutzend Soldaten steht rum; die kontrollieren pro Tag vielleicht drei solche Scheine. Naja; immerhin wurde registriert, dass wir da sind; vielleicht fällt dann auch auf, falls wir unterwegs verloren gehen :)
Am Ende vom zweiten Tag kamen wir an einem der ganz wenigen Schilder vorbei, das sagte, dass es noch 14,5 Kilometer bis zum Pass sind. Von Omalo waren es insgesamt 50 - wir hatten also schon ganz schön viel geschafft, und jetzt war der Ehrgeiz geweckt, am nächsten Tag schon über den Pass zu kommen. Unseren Informationen zufolge gab's nämlich von Shatili nur sonntags und donnerstags einen Bus nach Tbilisi, und der Sonntagsbus war auf einmal in Reichweite.
Derart motiviert, machten wir uns am dritten Tag - Freitag - auf den Weg. Und haben einen Adler fliegen sehen! :)
Allerdings haben wir doch länger gebraucht als gedacht. Hier und da mal kurz den Weg verloren und durch irgendeinen Canyon geklettert; dann mussten wir den Fluss überqueren, also Schuhe aus, durchlaufen, Schuhe wieder an... das hält alles auf.
Außerdem haben wir nicht richtig nachgedacht und hatten vor, oben auf dem Pass unser Mittagessen abzuhalten. Es war aber schon ganz schön spät geworden - 16 Uhr, als wir uns an den Aufstieg machten -, und plötzlich merkte man, dass das Frühstück schon eine ganze Weile her war und das Energielevel auf Minimum. Aber das merkt man erst zu spät; Hunger wird beim wandern irgendwie hinten angestellt. Und dann gab's auch kein zurück.
Der Pass ist wie eine Mondlandschaft; eine riesige steile Geröllhalde, auf der ein winziger Trampelpfad im Zickzack nach oben führt. Pause machen geht hier nicht. Am Tag vorher hatten wir eine Gruppe Wanderer getroffen, die von der anderen Seite kamen, und uns kurz mit denen unterhalten; die hatten Wanderstöcke, und deren Wanderstockabdrücke auf dem Pass waren eine große Beruhigung. Die sind auch hier lang gekommen; das muss so.
Außerdem an dieser Stelle ein Loblied auf den Körper, diese Maschine, die sich plötzlich anschmeißen kann, nur weil der Kopf das will. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich schon mal so verausgabt habe. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, auszusteigen, aufzuhören, ich hätte es wahrscheinlich gemacht. Ich hätte auch ganz gerne einfach ein bisschen geheult, aber das nützt ja auch nichts. Also kriecht man weiter nach oben und macht alle fünf Schritte eine Pause. Und der Kopf befiehlt dem Bein, und dann geht es doch noch weiter.
Oben - auf dem Atsunta-Pass, auf 3431 Metern - waren wir kurz nach 18 Uhr, und auf einmal war es sehr kalt. Wir haben uns schnell angezogen, was gegessen, ein einziges Foto gemacht und uns dann auf den Weg nach unten gemacht, wieder durch Geröll und Endzeitlandschaft.
Nach einer guten Stunde waren wir auf einer Camping-geeigneten Wiese und heilfroh, nach einem Zehn-Stunden-Tag ins Zelt zu kommen. Aber auch sehr glücklich und sehr stolz.
Samstag ging es dann die restlichen 25 Kilometer nach Shatili. Bergauf braucht Kraft und geht auf die Muskeln; bergab ist nicht so schön für die Füße und die Knie. Morgens sind wir ziemlich gut losgekommen, aber mit der Zeit haben wir schon gemerkt, dass uns der Vortag noch in den Knochen steckt. Nützt aber nix! Wir wollten Sonntag Mittag den Bus nehmen. Also wurde gewandert.
Den Bus haben wir auch geschafft. Nach fünf Stunden Fahrt waren wir Sonntag wieder in Tbilisi, haben das Auto besucht und sind wieder in unserem Hostel abgestiegen.
Am ersten Tag der Wanderung haben wir einen Wanderer getroffen, der allein unterwegs war und aus der anderen Richtung über den Pass gekommen war. Er sagte, er sei dabei fast gestorben; er ist in Nebel und schlechtes Wetter geraten, völlig vom Weg abgekommen, musste im Sitzen irgendwo auf dieser Steinhalde schlafen und hat sein Zelt verloren, weil er es nicht mehr tragen konnte und es den Abhang runtergeschmissen hat. Hätte ich irgendwo auf dem Pass alleine so eine Nacht verbracht, ich wäre auf jeden Fall auch gestorben und würde mich wahrscheinlich danach für eine Woche ins Hotelzimmer legen. Er aber wollte ganz schnell weiter - nach Mestia (auch im Kaukasus - hier liegen die höchsten Dörfer in Europa). Ob wir da schon waren?
Nein. Aber da wollen wir als nächstes hin :)